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Mit digitalisierter Kommunikation gegen digitale Substituierung: MOIA Operations GmbH Hannover

Im Rahmen des Projektes "Gute Arbeit in der Transformation der Arbeitswelt: Mitbestimmung und Qualifizierung" (ehemals gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung) wurden in den Jahren 2021 bis 2022 leitfadenorientierte Interviews mit Interessenvertreter*innen aus fünf Betrieben geführt.

Als Zusammenfassung des Interviews mit einem Betriebsrat der MOIA Operations GmbH Hannover wurde dieses Betriebsportrait erstellt, das wir an dieser Stelle vorstellen möchten.

Mit digitaler Kommunikation gegen digitale Substituierung

Die MOIA Operations GmbH ist eine Neugründung auf dem Mobilitätssektor, deren Schwerpunkt auf einer on demand Beförderung von Fahrgästen und der ganzheitlichen Entwicklung der unterstützenden Soft- und Hardware liegt.

Mit Blick auf das operative Geschäft könnte die Beschäftigungsperspektive eines Großteils der fest angestellten Fahrer*innen zukünftig im Zuge der Etablierung des autonomen Fahrens in ihrer Substituierbarkeit liegen.

Zur Zeit wächst aber das operative Geschäft bei Neueinstellung von Fahrer*innen durch die Umsetzung neuer Mobilitätskonzepte als Wachstumsmarkt. Ein Betriebsrat wurde 2020 gegründet.

Arbeitsorganisation über KI

Einfach ausgedrückt handelt es sich bei der angebotenen Dienstleistung im einen Sammeltaxidienst, bei dem Kund*innen einen Fahrplatz in einem Kleinbus über eine App buchen.

Die gleichzeitig beförderten Fahrgäste haben in der Regel weder Zu- noch Ausstiegsort gemeinsam. Das Herzstück des "Ridepoolings" ist ein Algorithmus, der aus den Informationen zu variierenden Zu- und Einstiegsorten eine optimale Route berechnet, bei der Fahrzeuge den unterschiedlichen Fahrgästen zugeordnet werden. Da es sich um ein just in time und just on demand Angebot handelt, ist der Algorithmus in seiner Programmierung ausgerichtet auf die Suche nach einem optimalen Szenario für alle Fahrgäste mit dem kleinsten gemeinsamen Zeitaufwand.

Es handelt sich damit um ein komplett digital unterstütztes, KI basiertes, selbstlernendes und sich selbst optimierendes System auf Basis anonymisierter Kund*innendaten. Für die Driver*innen bildet sich die Route dabei wie ein flexibles Netz ständig neu.

In der Bedienung der Anfragen entlang des Netzes liegt die Gefahr einer unmittelbaren Arbeitsverdichtung. Eine algorithmische Arbeitssteuerung bedeutet dabei zusätzlich ein hohes Maß einer möglichen Verhaltenskontrolle.

"Das heißt, es kann ja jede Sache gemessen werden. Ich könnte genau sehen, wie oft ich das Gaspedal betätige."

Autonomes Fahren als Zukunftsperspektive

Die beschriebene Dienstleistung kann zusätzlich mit einer Strategie der Ersetzung von Fahrer*innen im Zuge der Einführung autonomen Fahrens einhergehen, wobei die Prozessdynamik der Rechtslage entspricht.

"Also das autonome Fahren wird kommen. (...) Und die Kollegen, die einsteigen, wissen es auch, aber es ist im Moment kein zentraler Punkt, weil wir einen Festvertrag haben, der souverän ist.

Ob man die Leute in zwei Jahren einfach rausschmeißt oder ersetzt, das wird sich zeigen."  

Betriebliche Mitbestimmung und mögliches Substituierbarkeitspotential

Was die betriebliche Mitbestimmung betrifft, so profitieren die Beschäftigten davon, als eigenständiges Unternehmen unter dem Dach eines großem Automobilkonzerns mit einem hohen Organisierungsgrad angesiedelt zu sein. Zusätzlich kann der 2020 gewählte Betriebsrat auf den Support der IG Metall zurück greifen.

Am Standort Hannover, das Pilotprojekt ist in zwei urbanen Metropolen angesiedelt, arbeiten derzeit (2020) 78 von ehemals 100 Beschäftigten im Bereich der Fahrgastbeförderung.

Der Organisierungsgrad ist hoch. Diese an sich günstigen Voraussetzungen sind neben der Perspektive einer langfristigen Substituierbarkeit der Fahrer*innen von einem einschränkenden Faktor beeinträchtigt.

Für die Personenbeförderung ist neben einem Führerschein und der Lizenz der Fahrgastbeförderung keine weitere Qualifikation erforderlich, damit ist die Beschäftigung auf dem Niveau einer Helfertätigkeit angesiedelt.

Kollegialer Austausch

Die Branche hält im Arbeitsalltag kaum kommunikative Begegnungsräume vor. Die Beschäftigten sehen sich ausschließlich beim Abholen und Abliefern der Fahrzeuge an den dafür eingerichteten Knotenpunkten, den Hubs. Die übrige Arbeitszeit verbringen sie alleine in ihren Fahrzeugen und kommunizieren zunächst ausschließlich über das Unternehmensnetzwerk.

Damit stellt sich die Frage nach einer kollegialen Kommunikationsstruktur, mit der der Betriebsrat über die bloßen Mitgliedschaften hinaus die Beschäftigten strategisch einbinden kann.

Schwierig schon allein deshalb, weil "vielen Leuten (...) ist die Gewerkschaftsarbeit gar nicht so richtig bekannt. Wer da welche Sachen ausführt bzw. wozu eine Gewerkschaft gut ist. Die interessiert dann letztendlich nur der Stundenlohn und die Bedingungen (ihrer) Tätigkeit."

Nutzung von WhatsApp Gruppen

Für die Kommunikation nutzt der Betriebsrat einen ebenfalls digitalisierten Austausch mit Hilfe der "WhatsApp Gruppen, die sehr aktiv sind", neben althergebrachten Kommunikationsformen:

"Das ist natürlich schwieriger. (...) Ich neige dazu, die WhatsApp Nachrichten mit Vorsicht zu genießen. Wenn hier Themen hoch gewirbelt werden, (...) dann versuche ich immer die Leute direkt anzurufen. Also ich habe jetzt heute zum Beispiel noch drei, vier Telefonate in der Pipe, weil es letztendlich immer besser ist, das persönlich zu klären, damit ich das verstehen kann. WhatsApp neigt zu Missverständnissen."

Betriebsversammlungen

"Deswegen versuche gerade ich diese alten Werkzeuge wie eine Betriebsversammlung (...) auch zu nutzen.

Wenn ich einen E-Mail-Newsletter schreibe, liest der eine den, oder liest den nicht. Ich weiß nicht, ob er dann nicht auch noch im Spam landet oder ähnliches. Das heißt aber, es gibt bei uns viele gute Möglichkeiten.

Aber viele sind natürlich von den alten Sachen her gedacht, aber man kann sich die dann auch zu Nutze nehmen. Betriebsversammlung halte ich aber für die beste Tätigkeit. Um zu Wort zu kommen, um zu sprechen, selbst wenn sie digital stattfinden würden."

Zukunftsvision neben dem Alltagsgeschäft

Auf diese Weise versucht der Betriebsrat neben dem "Alltagsgeschäft" seine eigene Zukunftsvision zu vermitteln. Diese besteht in nichts anderem, als in dem perspektivistischen Entwurf des völlig neuen Tätigkeitsprofils einer Begleitung der Fahrgäste als Souveränitätsperson. 

"Das heißt, wo sind die Schlüsselqualifikationen, die eine Wertigkeit erhöhen? " Denn wer soll für die Sicherheit der Fahrgäste sorgen und wer soll ihren unmittelbaren Kommunikationsbedürfnissen entsprechen, wenn ein autonom gesteuertes Transportmittel als unregulierter mobiler Begegnungsort ohne jede Begleitperson unterwegs ist? 

"Wenn über autonomes Fahren gesprochen wird, ist man sich bewusst, dass es sich um ein stark emotional besetztes Thema handelt."

Driver*innen als Souveränitätspersonen

Statt auf der Ebene einer kontinuierlichen Anpassungsqualifizierung bezogen auf neue Fahrzeugtypen, digitale Arbeitsmittel und Applikationen bringt der Betriebsrat im Kontext der Beschäftigungssicherung eine vielmehr ethische Dimension ein. Denn das Konzept einer unmittelbaren, kommunikativen, menschlichen Begleitung digitalisierter Mobilitätskonzepte durch eine Souveränitätsperson stellt weitergehend die Frage nach einem Fortbestand unmittelbarer Zwischenmenschlichkeit.

"Das heißt, ich frage mich persönlich, welche Sachen lassen sich von Maschinen nicht so leicht ersetzen und das sind die Sachen, die den Menschen besonders gut liegen bzw. wo wir nicht ersetzbar sind. Das heißt der Mensch kann (...) sehr gut agieren im Sozialen und mit Gefühlen und er kann eben halt träumen.

Aber wenn ich die soziale Komponente mit hereinnehme, (...) ist die soziale Komponente gerade das, was ich gerade mit der Straßenbahn erzählt habe. Das heißt: Wie sicher fühle ich mich in einem fahrerlosen Auto, wenn ich als junge Frau nach Hause gebracht werde von diesen Auto und eine testosterongesättigte vierköpfige Personengruppe dazu steigt? Das heißt, die sozialen Fähigkeiten sind die Frage."

Wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten?

Zusätzlich geht es im Grunde um die Frage, in welcher Weise eine algorithmische Arbeitssteuerung als Mittel der Verdichtung und Entwertung menschlicher Arbeit dienen soll und ob und in wie weit der Mensch mit dem Menschen noch darüber verhandeln will, was die Beweggründe und Zielsetzungen des eigenen Lebens und Arbeitens sind.

"Wer wird letztendlich alles ersetzt werden? Wirst du vielleicht auch ersetzt werden? Ich glaube, dieser Wechsel, der sich da in den nächsten Jahren abspielt, diese Fragen, die sich dann aufwirft, welche Berufe dann tatsächlich wegfallen, oder bei welcher Tätigkeit es von Vorteil ist, sie von Menschen ausführen zu lassen, da stehen wir sogar auf einer gar nicht so schlechten Seite."

Damit wird diese Betriebsratsstrategie selbst zu einem Pilotprojekt im Kontext digitalisierter Mobilität. Und es stellt sich die Frage, ob es auch hier gelingen kann, Beschäftigte über eine ebenfalls digitalisierte Kommunikationsstruktur der Interessenvertretung zu mobilisieren und den gegebenen Entfremdungs- und Substituierungstendenzen entgegenzuwirken.

 

Das Gespräch mit dem Betriebsrat wurde 2022 geführt. Für eine bessere Lesbarkeit wurden im Nachgang Zwischenüberschriften eingefügt.

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Welche Denkanstöße kann das HdA Programm heute geben?

Mit dem Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ (HdA)von 1974 förderte die Bundesregierung nicht nur betriebliche Projekte zur Arbeitsgestaltung, sondern setzte auch neue gesetzliche Standards. Das Programm antwortete dabei unter anderem auch in Ergänzung auf einen angewachsenen Wohlstand von Arbeitnehmer:innen in einer  Wachstumsökonomie technologischen Umbruchs. Die Transformation der Arbeitswelt mit ihren bekannten Treibern stellt nun die Frage nach einer humanen Arbeitswelt im Zeichen des Postwachstums.

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Solidarisch geteiltes Wissen in der Transformation

Auch wir am ZegdAM sind neugierig auf gute Beispiele gelungener Qualifizierung in niedersächsischen Betrieben. Der Austausch über Erfolge, Stolpersteine und zweckdienliche Roadmaps bündelt das Mosaik verteilter Auseinandersetzungen. Einen Beitrag wollen auch wir durch überbetriebliche Workshops und eine Dokumentation von Best-Practise-Beispielen leisten.

 

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Wir müssen reden, KI

Julia Schneider und Lena Kadriye Ziyal finden Bilder zu Worten und machen vieles begreifbar.

"// Die Zukunft zu kennen ist unmöglich. Aber was uns möglich ist: Zu wissen, welche Zukunft wir uns wünschen. Und dann darauf hinzuarbeiten."

 Schneider, Ziyal (2019): KI, wir müssen reden. Ein Comic-Essay über Künstliche Intelligenz

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Bei uns heißt Siri Mary - KI bei aquaRömer in Göppingen

Abstrakte Begriffsbestimmungen nutzen wenig, wo Fallbeispiele aus dem Betrieb eine klare Sprache sprechen. 

Auf der Re:Publica 2019 wurde nicht nur weitläufig über KI diskutiert. Efsthatios Michailidis, Betriebsratsvorsitzender der aquaRömer GmbH & Co. KG stellt uns Mary vor.

 

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"Rüttet Tesla an den Grundfesten des deutschen Industriemodells?"  Diskussionsrunde der IG Metall

In diesem Jahr fand die Hannover Messe 2021 zum ersten Mal in einem digitalen Format statt. Mit vertreten auf der Messe war wie in jedem Jahr die IG Metall. Dabei wurde am 13.04.2021 eine Diskussionsrunde live gestreamt.

Professor Dr. Andreas Boes vom ISF München setzte für die Diskussion vorab einen spannenden Impulsvortrag.

Es diskutierten moderiert durch Dr. Kira Marrs vom ISF München:

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