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Vertrag des Vertrauens: Weiterbildung und Qualifizierung bei der Üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe

Im Rahmen des Projektes "Gute Arbeit in der Transformation der Arbeitswelt: Mitbestimmung und Qualifizierung" (ehemals gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung) wurden in den Jahren 2021 bis 2022 leitfadenorientierte Interviews mit Interessenvertreter*innen aus fünf Betrieben geführt.

Als Zusammenfassung des Interviews mit einem Betriebsrat der Üstra und einem Referenten des Betriebsrates wurde dieses Betriebsportrait erstellt, das wir an dieser Stelle vorstellen möchten.

Vertrag des Vertrauens

Bei der ÜSTRA Hannoversche Verkehrsbetriebe handelt es sich bekanntermaßen um ein Verkehrsunternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs. Das Unternehmen beschäftigt seine 2200 Mitarbeitenden nicht nur im Bereich des Fahrpersonals, der Leitstellen und der Werkstätten. Sämtliche eigenständige Tätigkeiten rund um die Basisdienstleistung werden hausintern abgedeckt und sind in das Unternehmen integriert.

Mit neuen Mobilitätskonzepten und einer Verdichtung von Anbindung und Takt bzw. durch das Angebot neuer flexibilisierter und individualisierter Beförderungsangebote möchte die Üstra einen Beitrag zur Verkehrswende leisten.

Sämtliche Unternehmensbereiche erfordern im Hintergrund eine breite Informations- und Kommunikationstechnologie in vernetzten Strukturen mit einer hohen Veränderungsgeschwindigkeit. In allen Tätigkeitsbereichen sind zunehmend digitale Kompetenzen erforderlich, die zur Sicherung der Beschäftigung und zum Erhalt der Qualität der Arbeit nach passgenauen Qualifizierungen verlangen, um auch weiterhin einen hohen Qualifizierungsstandard der Beschäftigten zu sichern.

 Wegfall von Arbeitsaufgaben durch eine Digitalisierung

Zunächst einmal gilt festzuhalten, dass mit einer fortschreitenden Digitalisierung Arbeitsaufgaben wegfallen werden. Das heißt aber nicht automatisch, dass damit auch ein Arbeitsplatzverlust einhergehen muss.

„Eine klassische Rationalisierung mit einem Personalabbau wird es zumindest im Moment noch nicht geben im Gegensatz zur Rationalisierung bezogen auf Arbeitsaufgaben an der einen oder anderen Stelle. Aber selbst wenn es so wäre, wäre es wahrscheinlich aufgrund des altersbedingten Ausscheidens gar keine große Herausforderung (…).“

Qualifizierung für neue Arbeitsaufgaben

Seitens des Unternehmens ist eine vorausschauende Qualifizierungsplanung ausdrücklich gewünscht.

„Man denkt jetzt schon darüber nach, in welchen Bereichen zu einem späteren Zeitpunkt Aufgabenschwerpunkte durch eine Digitalisierung verloren gehen. Die Üstra bietet „Mischarbeitsplätze“ an, um die Beschäftigten an neue Arbeitsaufgaben heranzuführen und zu gewöhnen. Dadurch findet eine indirekte Qualifizierung für neue Tätigkeiten statt, die zusätzlich durch eine bessere Vergütung attraktiv sind.“

Über einen solchen Mischarbeitsplatz wird eine sichere Perspektive geboten, welche die Beschäftigten öffnen kann für notwendige Lernprozesse. Erhaltungsqualifizierungen sind bei den Beschäftigten des Fahrpersonals alltäglich,
„Entwicklungsqualifizierungen werden (…) ausdrücklich gefördert, wodurch Zufriedenheit geschaffen wird. Die Üstra hat großes Interesse, Beschäftigte zu halten. Es werden Beschäftigte ausscheiden, nicht, weil es ihnen nicht gefällt, sondern weil sie zu alt werden, um arbeiten zu können.“

Individuelle Qualifizierung

Die klassische Bedarfsermittlung für eine individuelle Qualifizierung findet in Mitarbeitendengesprächen statt. Zusätzlich können alle Beschäftigten eigeninitiativ auf ihre Führungskraft zukommen bei Interesse an einem internen Bildungsangebot.

Auf Basis weitergebener Bedarfe werden passgenau interne Schulungsmaßnahmen und Workshops entwickelt oder extern eingekauft. In einem eigenen Programm begleitet das Unternehmen langfristig potentielle Führungsnachwuchskräfte. In Bezug auf eine Qualifizierung im Softwarebereich eröffnet die Üstra Beschäftigten die teilweise Finanzierung eines Studiums auf dem zweiten Bildungsweg.

Zukunftsgewandte thematische Angebote zu Design-Thinking, Changemanagement, Future-Works-Skills, Künstliche Intelligenz finden Beschäftigte auf einer internen Plattform und in einer Wissensdatenbank. Diese Angebote können auf freiwilliger Basis in der Freizeit genutzt werden.

Schulungskonzept in Kombination mit direkter Bedarfsermittlung

Bei einer geplanten Einführung von Office 365 ist die Kombination eines Schulungskonzepts mit einer direkten Bedarfsermittlung in Lernschleifen geplant; das Modell soll ausgeweitet werden.
„Bei uns werden gerade Multiplikatoren geschult, um in den unterschiedlichen Unternehmensbereichen das Programm zu vermitteln, sich aber gleichzeitig (…) die Fragen von den Beschäftigten und die Herausforderungen einzuholen, um dann wieder mit den Schulungsreferenten von externer Seite diese Fragen zu besprechen, Lösungen zu entwickeln und wieder den Beschäftigten zu vermitteln.“

Die späteren Multiplikatoren aus den Reihen der Beschäftigten können sich für diese Aufgabe bewerben und werden entsprechend ausgebildet. Als Qualifizierungsbeauftragte sollen die Multiplikatoren flächendeckend im ganzen Haus eingesetzt werden. Die Beschäftigten werden damit abgeholt in Bezug auf ihre individuellen Bedarfe am Arbeitsplatz. Beispielsweise wird
„dabei (…) besprochen, wie die zukünftigen Möglichkeiten über Office 365 hinausgehen können. Wie können wir agil zum Beispiel über Microsoft 365 mit Teams arbeiten ausgelegt an den Bedarfen der Beschäftigten?“

Für die grundsätzliche und kontinuierliche Eingabe von Verbesserungsvorschlägen bezogen auf den eigenen Arbeitsplatz und die eigene Tätigkeit bietet ein Ideenmanagement Raum. Bei einer Akzeptanz durch das Unternehmen erfolgt eine monetäre Belohnung, die Anreize schafft.

Gemeinsame Digitalisierungsstrategie

Die digitale Transformation wird bei der Üstra im Rahmen eines „Vertrag(s) des Vertrauens in Form eines Comanagements“ von Unternehmensführung und Interessenvertretung gestaltet. Das Betriebsratsgremium ist durch eine proaktive Kommunikation der Geschäftsführung an der Strategieentwicklung beteiligt und damit auch die Beschäftigten. Über zahlreiche Informationskanäle informieren sowohl Betriebsrat, als auch Geschäftsführung die Beschäftigten.

Eine Digitalisierungsstrategie wurde nicht Top-Down entwickelt „(…) mit dem Ziel, dass man sich mit den Beschäftigten zukünftig digital gemeinsam auf den Weg macht trotz bestehender Vorbehalte und Herausforderungen, die jetzt erst noch kommen. Auch wenn schon vielen klar ist, was Digitalisierung bedeutet, sind vielleicht ein paar Ängste da, die weggeschoben werden können.“

Kommunikations- und Gemeinschaftskultur

Zur Etablierung der vorhandenen „hohe(n) Kommunikations- und Gemeinschaftskultur“ bietet das Unternehmen zahlreiche institutionalisierte Austauschforen. Betont wird von Seiten der Interessenvertretung die Bedeutung einer Sichtbarkeit von Transformationsprozessen für alle Beschäftigten.

Im Zuge der Corona Pandemie und einer ausgefallenen Betriebsversammlung wurden 2021 gute Erfahrungen mit einer Betriebsinformationsrunde gemacht. Vorab durch die Beschäftigten eingebrachte Themen konnten in Interviewform mit den jeweiligen Bereichsleitenden geklärt werden.

Erhöhtes Tempo bei Veränderungsprozessen 

Die wesentliche Herausforderung ergibt sich nach eigener Einschätzung für die Interessenvertretung nicht prinzipiell aus Begleitung einer Transformation:

„Wir haben Digitalisierungsprozesse schon mehrfach durch verschiedene Transformationen erlebt, deren Schnelllebigkeit sich nun durch die technischen Möglichkeiten erhöht. Vielleicht haben wir nicht so viel Zeit, die Prozesse zu gestalten, auch wenn es nicht etwas ganz Neues ist. Die Gefahr ist, dass die schnelleren Technologien, die es zu begleiten gilt, einen manchmal vielleicht ein bisschen links überholen.“

Brandbeschleuniger Corona Pandemie

Ein Brandbeschleuniger der Digitalisierung aller Tätigkeiten im Office war auch bei der Üstra die Corona Pandemie. Mobiles Arbeiten wird dabei zu einem Türöffner für neue Formen der Zusammenarbeit und für neue Büroraumkonzepte mit dem jeweiligen Rückbezug auf eine digitale Infrastruktur für eine Kooperation auf Distanz. Hierbei bestehe die Gefahr, dass die hohe Kommunikations- und Gemeinschaftskultur verloren geht:

„Damit das auf keinen Fall passiert, muss das begleitet werden, damit diese Kultur Beschäftigten bei aller Notwendigkeit des Prozesses nicht fehlt. Unabhängig davon, dass ein Großteil der Beschäftigten eben ganz normal weiterarbeiten geht, weil er eben nicht in Homeoffice arbeiten kann, so dass der Transformationsprozess durch die Digitalisierung hier eine andere Form annimmt.“

Praktisch geschieht in der Ausnahmensituation der Pandemie, dass man „gar nicht so schnell gestalten kann, wie man es gestalten müsste. Und das wird uns mit Sicherheit in den nächsten Jahren, nicht nur Monaten, begleiten, in denen neu zu bewältigende Herausforderungen kommen."

„Die Digitalisierung ist schneller vorangeschritten, als man gedacht hat. Bezogen auf Schuhe ist es wie bei Kindern. Da kauft man Schuhe Größe 20 und plötzlich ist es Schuhgröße 30 und man wundert sich, dass es in einem Jahr passiert ist.

Ähnlich ist es im letzten Jahr der Pandemie gewesen, indem vieles schneller ging, als gewünscht. Nichtsdestotrotz muss man sich dann anpassen und dementsprechende Schuhe kaufen. Und das wird uns mit Sicherheit in den nächsten Jahren, nicht nur Monaten, begleiten, in denen neu zu bewältigende Herausforderungen kommen. Im Moment sind wir da nicht mehr im „Ganz-Kinder-Alter“, im Babyalter schon gar nicht mehr, es geht jetzt in die Pubertät, was tatsächlich ein ganz gutes Gefühl ist.“

Der mit einer Technologieeinführung verbundenen Gestaltungsentscheidung geht nach wie vor die Frage voraus, „was vom Gremium in welcher Qualität und auch vor allem in welcher Schnelllebigkeit gewollt wird“, auch wenn schnelle Veränderungen schnelle Entscheidungen erforderlich machen.

Prozesscharakter von Digitalisierungsprojekten als Herausforderung

Digitalisierungsprojekte selbst zeichnen sich durch eine hohe Agilität aus, so dass ihre möglichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen nicht unbedingt bei Einführung absehbar sind.

„Deswegen ist es alleine schon für die Projektverantwortlichen, erst Recht für den Betriebsrat und dann sowieso für die Beschäftigten schwierig, das mit Einführung eines Projektes festzustellen.  Ich glaube, wir zielen alle darauf ab, frühzeitig die möglichen Folgen aus Beschäftigtensicht zu erkennen und regelmäßig zu überprüfen, ob sich aus neuen Entwicklungen neue Folgen ergeben, die man dann zum Beispiel mit Qualifizierungsmaßnahmen angehen muss. Manchmal zeigt sich aber, dass sich vorher angenommene Folgen ganz anders darstellen. Aber da sind wir glaube ich in vielen Projekten gerade erst am Anfang.“

Fazit

Auf Basis des Vertrags des Vertrauens kann sich der Betriebsrat der Üstra proaktiv einbringen in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Unternehmensführung. Der kontinuierliche betriebliche Dialog auf und zwischen mehreren Ebenen kommt einer Agilität von Veränderungsprozessen hierbei entgegnen.

Beschäftigte erhalten die Chance, sich strukturiert Wissen über die Digitalisierung anzueignen, wodurch Veränderungen an Transparenz gewinnen und die individuelle Bereitschaft zur eigenen Entwicklung gefördert werden kann.

Am Beispiel der Qualifizierungsbeauftragten werden Lernprozesse zusätzlich in soziale Beziehungen eingebettet. Die entstehenden Lernschleifen entsprechen schlussendlich der Veränderungsgeschwindigkeit von Prozessen.

 

Das Gespräch  wurde 2022 geführt. Für eine bessere Lesbarkeit wurden im Nachgang Zwischenüberschriften eingefügt.

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